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Argumente-Check

Bioschmierstoffe

Der Argumente-Check

Was ist und wozu gibt es den Argumente-Check?

Dieser Argumente-Check ist entstanden im Rahmen des durch das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft über die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e. V. geförderten Projekts NOEBIO (Biobasierte Schmier- und Verfahrensstoffe in der nachhaltigen öffentlichen Beschaffung). Der anlässlich von Klimawandel und Ressourcenknappheit politisch gewollte Umstieg in eine Bioökonomie soll unter anderem mit Marktmacht und Vorbild­funktion des Staates im Rahmen öffentlicher Beschaffungen unterstützt werden. Immerhin werden die jährlichen Beschaffungsaktivitäten des öffentlichen Sektors in Deutschland in verschiedenen Quellen auf einen Gesamtwert von rund 350 Mrd. EURO beziffert. Wenn sie auch nur ein relativ kleines Marktsegment betreffen (gut 1 Mio. t/a in Deutschland), gehören Schmier- und Verfahrensstoffe (in unserem Zusammenhang vor allem Hydrauliköle und Schmierfette) dazu.

Laut Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e. V. (FNR, Projektträger für das Bundes­land­wirt­schafts­ministerium) (www.fnr.de ) bestehen Bioschmierstoffe (im Gegensatz zu mineralölbasierten Schmierstoffen) zu einem hohen Anteil aus nachwachsenden Rohstoffen und sind zudem biologisch schnell abbaubar. Hinsichtlich ihrer technischen Performance zeichnen sie sich, so die FNR weiter, durch eine ausgezeichnete Leistungsfähigkeit aus (www.fnr.de/nachwachsende-rohstoffe/chemisch-technisch/bioschmierstoffe ).

Leider konnte im Projekt nur die Bundesebene bearbeitet werden. Viele Argumentationsmuster gelten auch für andere öffentliche Beschaffer und auch für andere Produktgruppen.

Es gibt eine große Vielzahl und Vielfalt von Aussagen, die als Argumente für und wider den Einsatz und die Beschaffung von Bioschmierstoffen formuliert bzw. genutzt werden.

Der etwas schräg formulierte Auftrag einer "nachhaltigen öffentlichen Beschaffung" meint eigentlich eine an den Zielen der Nachhaltigkeit orientierte Beschaffungspolitik, Beschaffung und Beauftragung, die überdies dadurch indirekt Nachhaltigkeitsziele auch außerhalb des öffentlichen Sektors zu fördern versucht (z. B. in der Produktentwicklung). Gemeint ist die (wachsende) Berücksichtigung der Ziele als Entscheidungskriterien im Beschaffungsprozess:

  • ökologische Nachhaltigkeit, hier abgekürzt mit "Umweltfreundlich"
  • ökonomische Nachhaltigkeit, hier abgekürzt mit "Technisch gut und gut für die Wirtschaft"
  • soziale Nachhaltigkeit, hier abgekürzt mit "Sozialverträglich".

Und zwar grundsätzlich für die gesamte Lieferkette. Die Ziele werden unterstützt dadurch, dass sie gesetzlich und politisch gefordert und ggf. durch entsprechende Maßnahmen (Regelungen, Forschungen, steuerliche Anreize etc.) gefördert werden.

Aber es gibt auch eine Reihe von Umsetzungshemmnissen. Sie reichen vom Informationsmangel ("Weiß nicht") über Vormeinungen darüber, dass es technische Probleme mit den Stoffen gibt ("Tut's nicht") und dass der Einsatz viel zu teuer sei ("Kosten. Zu teuer"). Hinzu kommen grundsätzliche Zweifel daran, ob der Nutzen in Sachen Nachhaltigkeit tatsächlich erreicht wird.

Wir haben im Argumente-Check mit Unterstützung einer Vielzahl von Expertinnen und Experten (Beteiligten am Diskurs) über 150 solcher Argumente unterschiedlichen Allgemeinheitsgrades, unterschiedlicher Aktualität, unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlicher Plausibilität und so weiter zusammengetragen. Müsste man sie jetzt nicht nur, auch wenn das viel Aufwand wäre, per Faktencheck der Reihe nach überprüfen, herausfinden, welche wahr und welche falsch sind?

So einfach ist das leider nicht. Nicht nur, weil es nicht so einfach ist, eine "Wahrheit" zu bestimmen, sondern weil die Wirksamkeit einer Aussage nicht einfach nur auf einer (von irgendwem behaupteten) Wahrheit beruht. Sehen wir genauer hin.

Was erwarten wir von einer Argumentation?

Nach gängigem Verständnis dient eine Argumentation der Begründung oder Widerlegung einer Behauptung, einer Bewertung oder Empfehlung, eines Urteils, einer Auswahl. Sie besteht aus einem Argument bis vielen Argumenten, die sich – im aussagenlogischen Sinne – nicht widersprechen und die durch "irgendetwas" (zur Stützung des jeweiligen Arguments) belegt sein sollten. Eine wissenschaftliche Argumentation zeichnet sich dadurch aus, dass die Belege zumindest an der Wirklichkeit scheitern können (falsifizierbar sein) müssen. Die aufgrund von Werturteilen aufgestellte Behauptung geht der kritisch prüfenden Argumentation voraus.

Man muss den Gedankengang nicht wissenschaftstheoretisch weiterspinnen, um am konkreten Beispiel zu sehen, dass es viele mögliche Argumentationen gibt mit unterschiedlichen Schlussfolgerungen und dass dies kein Mangel ist. So standen am Anfang des Argumente-Checks zum Einsatz von Bioschmierstoffen drei Feststellungen:

  1. Es gibt (neben einer Reihe von anderen Bedingungen) eine Vielzahl und Vielfalt von Argumenten für und wider den Einsatz von Bioschmierstoffen, die die Einsatz- und Beschaffungsentscheidungen beeinflussen. Die Argumentationsstruktur ist sehr unübersichtlich. Argumente sind veraltet, nicht empirisch belegt, interessengeleitet und vieles andere mehr.
  2. Für oder gegen fast alle Argumente lassen sich – durchaus nachvollziehbare – Gegen­argumente finden, die je nach Position des Argumentierenden oder Rezipierenden unterschiedliche Entscheidungen begründen können.
  3. Wenn das so ist, dann kommt es zuerst einmal darauf an festzustellen, dass der Umstieg politisch gewünscht ist und diejenigen, die ihn umsetzen sollen, dafür Argumentationen nachvollziehen können.

Unser Argumente-Check ist kein Faktencheck.

Im journalistischen Kontext wird anstelle des Begriffs "Argumente-Check" häufiger der Begriff "Faktencheck" verwendet. Der Faktencheck dient dort als Instrument für die Überprüfung der Wahrheit von Aussagen über Fakten in einem Diskurs. Er wird als ein Mittel gegen Desinformation angesehen. Es gibt jedoch nur wenige und besonders einfache Sachverhalte, in denen ein Faktencheck hilft, etwas aufzuklären. Er oder sie hat dies oder jenes gesagt. Man hat einen Filmausschnitt zur Verfügung. Oder: Die genannten Zahlen sind nachweislich (?) falsch. Der genannte Termin stimmt nicht. Oder Ähnliches.

Aber darum geht es meistens gar nicht. Es geht darum, diejenige oder denjenigen, die etwas behauptet haben, der Lüge oder zumindest der Nachlässigkeit zu bezichtigen. Warum? Weil die Aussage nicht einfach beansprucht, eine Aussage über die Wirklichkeit zu sein, sondern weil sie einen Aufforderungscharakter enthält. Wenn ich sage "Bioöl ist sehr teuer", dann sage ich nicht, Bioöl sei sehr teuer, sondern ich sage "Die Beschaffung von Bioöl kommt nicht in Frage, weil sie den üblichen Prinzipien der Beschaffung unter Gesichtspunkten der Wirtschaftlichkeit widerspricht. Kaufe kein Bioöl, denn es ist zu teuer." So wie wenn ich sage: "Das Fenster ist offen", während ich doch eigentlich sagen will: "Mache doch bitte jemand das Fenster zu, denn es ist mir zu kalt oder zu laut."

Diese Sprachdimension lässt sich mit einem Faktencheck nicht auflösen. Analysiert werden muss, welche Bedeutung die Aussage als Argument in einer Kontroverse hat, inwieweit diese Aussage Einfluss nehmen will und kann – in unserem Fall – auf Beschaffungsentscheidungen.

Der Faktencheck ist also nur in einem beschränkten Ausmaß wichtiger Bestandteil des Argumente-Checks. Er kann ihn auf keinen Fall ersetzen, sondern nur in wenigen Fällen einen Beitrag dazu liefern, den Argumentcharakter der Aussage aufzuklären.

Unser Argumente-Check ist ein "elektronischer runder Tisch" zum Mitmachen.

Die vorausgegangene kritische Betrachtung soll alles andere sein als der Aufruf, alles für beliebig zu halten. Sie soll fragen helfen, warum etwas gesagt wird, wozu diese Aussage dient. Was andere – mit unterstützender oder entgegengesetzter Absicht – dazu sagen. Und sie soll klarmachen: Wir müssen immer Entscheidungen treffen unter der grundsätzlichen Bedingung von Unsicherheit. Das ist nicht so schön, wie wenn ich sagen könnte: "So isses. Und deshalb machen wir's so." Das kann man so propagieren. Das nennt man dann Technokratie oder Expertokratie. Aber das ist nicht nur undemokratisch, sondern diese Entscheidungsform ist zudem wenig fehlerfreundlich. Korrekturen kommen häufiger zu spät als in einer Kultur des Aushandelns, die immer wieder aufs Neue versucht, Argumente zu prüfen, zu vergleichen und ihr Gewicht für Entscheidungen abzuschätzen. "Stückwerktechnologie" hat das mal ein bekannter Philosoph des 20. Jahrhunderts genannt. Nie weiter vorangehen, als man eine relevante Entscheidung noch relativ problemlos zurücknehmen kann.

Das gelingt nur in einem auf Dauer gestellten Diskurs, in einer Argumentation, in welcher Argumente ständig von verschiedener Seite geprüft werden: auf ihre Stichhaltigkeit, aber auch auf ihre Bedeutung für die angestrebte Entscheidung hin.

So ist unser Argumente-Check angelegt.

Zum einen handelt es sich nicht um einen hierarchischen Text mit Baumstruktur, sondern um einen Hypertext, in dem sich alle Beteiligten assoziativ bewegen können.

Und insofern und vor allem handelt es sich um einen Text, der ständig in Bewegung ist. Nicht einfach ständig wächst, sondern ständig "nachjustiert" wird. Er liefert denen, die aktuell entscheiden müssen oder wollen, wertvolle Hintergrundinformationen und denen, die am Thema / an einem bestimmten Aspekt des Themas arbeiten, die Möglichkeit der ständigen Beteiligung an der Weiterentwicklung des Diskurses.

Dazu braucht es – im Gegensatz zu irgendwelchen Diskursgruppen in den Social Media – ein stückweit eine kompetente Regie, die in unserem Fall die AG BioÖl zur Verfügung stellt, und – am liebsten – sichtbare Erfolge. Vielleicht einen Erfolg der Art, dass der Einsatz umweltschonender Schmier- und Verfahrensstoffe durch Beschaffung und Berücksichtigung bei Ausschreibungen ein bisschen wächst. Und wenn dabei – übrigens immer auf Widerruf – herauskommt, dass der wachsende Einsatz umweltschonender Schmier- und Verfahrensstoffe gar nicht so wünschenswert ist, wie gedacht, dann ist es auch gut. Dann sollen diejenigen, die anderer Meinung sind, bessere Argumente in den Diskurs einbringen.

Materialien

Müller, André (2020):
Pro und Contra umweltschonende Schmier- und Verfahrensstoffe. Der Argumente-Check als Instrument in Dialogprozessen, TAT-Schriftenreihe NOEBIOkompakt Heft 7
PDF-Datei, 4 Seiten